Haushalt 2022: Nie gab es mehr zu tun

Hinter uns liegt ein herausforderndes Jahr. Die Pandemie hatte und hat uns immer noch fest im Griff. Dieses Jahr und auch die kommenden Jahre werden herausfordernd sein. Ob die Stadt diesen Herausforderungen gewappnet ist, zeigt sich auch am Haushalt und der mittleren Finanzplanung.

Der Haushalt 2022 ist Licht und Schatten zugleich:

  • Linnich kommt endlich aus dem Haushaltssicherungskonzept (HSK). Hinter uns liegen Jahre schmerzhafter Maßnahmen, zu denen allerdings nicht immer alle bereit waren. Wir Freie Demokraten haben Verantwortung übernommen. Mit dem Ende des Haushaltssicherungskonzepts hat der finanzielle Handlungsspielraum für Linnich zugenommen. Die Finanzausstattung der Kommunen und auch unserer Heimatstadt hat sich in den letzten Jahren verbessert. Der kommunale Anteil an den Gemeinschaftssteuern wurde von der NRW-Koalition aus FDP und CDU stetig erhöht. Die Sportpauschale angehoben. Die Aufwands- und Unterhaltungspauschale sowie die Klima- und Fortpauschale wurden neu eingeführt. Die Integrationspauschale wurde an die Kommunen weitergeleitet. Das Flüchtlingsaufnahmegesetz wurde so überarbeitet, dass mehr Mittel für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen, insbesondere von Geduldeten, zur Verfügung steht. Wer in Düsseldorf regiert, macht einen Unterschied.

 

  • Allerdings haben die Belastungen an anderer Stelle zugenommen und werden weiter zunehmen. Die Jugendamtsumlage steigt fleißig weiter. Obwohl das Land ein zweites beitragsfreies Kita-Jahr finanziert und den Kommunen eine Ausbaugarantie gegeben hat, schlägt sich das im Kreis Düren nicht nieder. Beste Bildung von klein an, ist enorm wichtig für die spätere Entwicklung unserer Kinder. Wir unterstützen den Ausbau von Kita-Plätzen, denn der Bedarf ist noch längst nicht gedeckt. Dass der Kreis Düren Spitzenplätze der Höhe der Jugendamtsumlage einnimmt, können wir nicht hinnehmen. Wenn die Landesmittel steigen, aber die Ausgaben weiter explodieren und trotzdem nicht genug Plätze vorhanden sind, dann liegt der Fehler im System. Die Weigerung des Kreises Transparenz im Finanzsystem „Jugendamt“ zu schaffen, spricht Bände. Die haben wohl selbst den Überblick verloren. Die ‚normale‘ Kreisumlage sinkt bzw. bleibt konstant, zumindest bis 2023. Der Verbrauch der Rücklagen wird 2024 wie eine Bombe einschlagen. Da sich der Kreis jeglicher Konsolidierungsbemühungen verweigert, wird die Folge eigene steigende Umlage sein. Zu tragen haben auch wir dies – und ohne einen Kurswechsel, drohen neue Sparrunden und Steuererhöhungen. In der aktuellen Lage wäre das wirtschaftspolitisch tödlich.

 

  • Wirtschaftspolitisch stehen wir vor einer enormen Herausforderung – und die Mehrheit des Stadtrats hat dies immer noch begriffen. Wer glaubt der Strukturwandel wartet auf uns, wer glaubt die Innenstadt belebt sich alleine durch Baumaßnahmen, wer glaubt innovative Unternehmen haben nur auf uns gewartet, der lebt in einer Blase, die schon längst geplatzt ist. Der Future Mobility Park ist in der Schublade verschwunden. Die Neuausweisung von Gewerbe- und Industrieflächen läuft im Schneckentempo und eher im Widerstand mit dem beauftragten Büro. Die Innenstadt hat sich baulich gemacht, ist aber heute menschenleerer als zuvor. Was nützt mir die schönste Sitzbank, wenn die Geschäfte schließen und ich nicht mehr in die Innenstadt gehe. Wegen Frustration verlässt uns der nächste Einzelhändler. Abgeworben durch die Nachbarstadt, die einige, auch aus unserem Rat, gerne im Kreisnamen sehen würden. Muss diese Identifikation sein, von der die Befürworter sprechen. Andere Geschäftsinhaber haben gleich ganz aufgegeben, andere überleben noch. Erst sterben die Geschäfte – dann stirbt die Stadt. Das sollte nicht das neue Motto unserer Heimatstadt werden. Die wirtschaftspolitischen Herausforderungen in Linnich sind enorm und gehen weit über das hier aufgezählte hinaus. Deshalb wollten wir Freie Demokraten die Verwaltung in die Lage versetzen, eine Wirtschaftsförderung aufzubauen. Der aktuelle Stellenanteil von 0,1 ist ein Witz und wird den Aufgaben nicht gerecht. Eine Vollzeitstelle wäre ein guter Anfang gewesen. Wenig überraschend wurde der Antrag abgelehnt. Wir Freie Demokraten können dies verkraften. Die Frage ist, kann unsere Stadt das verkraften. Überleben vielleicht, mehr aber nicht. Fürs Gestalten bedarf es schon ein wenig mehr als der Status quo.

 

  • Wir verschlafen nicht nur die wirtschaftspolitischen Herausforderungen. Auch bei der Digitalisierung stockt es. Die Digitalisierung der Schulen nimmt zwar langsam Fahrt auf; das ist aber zu einem erheblichen Teil der Pandemie geschuldet. Der Breitbandausbau findet schon seit Jahren nicht statt. Längst überholen uns hier die anderen Kommunen – dabei war Linnich einst Vorreiter. Auf Lorbeeren ausruhen ist bei der schnell voranschreitenden digitalen Transformation tödlich. Eigentlich bräuchte unsere Stadt einen Chief Digital Officer, der Breitbandausbau, Digitalisierung von Verwaltung und Schulen, Cybersicherheit sowie die Erarbeitung und Umsetzung einer Digitalstrategie koordiniert und steuert. Wir können uns allerdings gut vorstellen, welches Schicksal einem solchen Antrag widerfahren würde. Die Wirtschaftsförderung lässt grüßen.

 

  • Und die nächste große Herausforderung steht nicht mehr vor der Türe, sondern ist schon längst im Hause. Der Krieg Russlands in der Ukraine hat viele Menschen von dort vertrieben. Die große Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, auch in unserer Stadt, verdient Respekt und Anerkennung.
    Das Ende des Krieges ist noch nicht absehbar, weder der Zeitpunkt, noch die Art. Wir wissen nicht, ob bei einem für den Kriegsverbrecher Putin positivem Ausgang, nicht das nächste europäische Land an der Reihe ist. Die Auswirkungen der Flucht aus der Ukraine treffen uns in einem stärkeren Ausmaß als andere Flüchtlingsbewegungen, denn dieser Krieg findet in unserer Nachbarschaft statt. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die Taliban immer noch in Afghanistan wüten, Andersdenkende, Ortskräfte, Frauen, Homosexuelle sowie Hazara und Angehörige anderer nicht genehmer Volksgruppen verfolgen und töten. Die Liste nationaler und internationaler Konflikte mit Fluchtfolgen lässt sich beliebig fortsetzen. Die Zunahme von Fluchtbewegungen stellt uns als Kommune vor einer Herausforderung. Ganz akut die Fluchtbewegung aus der Ukraine, die in Zahl und Schnelligkeit so einiges übertrifft, was wir kannten. Obwohl wir die Platzkapazitäten in den letzten Jahren nicht abgebaut haben, reicht der Platz in kommunalen Unterkünften kaum noch. Neue Unterkünfte schaffen, Wohnraum anmieten, die Menschen versorgen und betreuen – das geht nicht ohne finanzielle Mittel. Wir Freie Demokraten begrüßen die Zusicherung von Flüchtlingsminister Dr. Joachim Stamp, die Kommunen nicht im Regen stehen zu lassen. Wir setzen auf eine schnelle Verständigung zwischen Bund, Land und kommunalen Spitzenverbänden. Wir können jetzt in der Akutsituation in Vorleistung gehen, aber das hat auch seine Grenzen. Die zusätzlichen finanziellen Belastungen, die über die Änderungsliste in den Haushalt aufgenommen wurden, sprechen für sich.

 

Der Haushalt 2022 bietet Licht und Schatten. Zum Licht gehören die Digitalisierung unserer Schulen, die Investitionen in die bauliche Erneuerung unserer Innenstadt, in unsere Schulen, in unser Hallenbad und in unsere Infrastruktur – um einige Aspekte hervorzuheben. Zum Schatten gehört das unkalkulierbare Risiko ‚Kreis Düren‘, die politisch gewollte Schlafwagenmentalität bei Wirtschaftsförderung und Strukturwandel sowie der kaum feststellbare Breitbandausbau. Mit diesem Haushalt ohne Haushaltssicherungskonzept gewinnen wir ein Stück Handlungsfreiheit zurück, deshalb werden wir dem Entwurf diesmal zustimmen. Wir müssen in den nächsten Jahren die Handlungsfreiheit auch nutzen. Nie gab es mehr zu tun.